Interview mit kunstgruppe GOTTLIEB für das Magazin Menschen und Medien zum Werk schwarz rot kohle
Anlässlich ihrer jüngsten mehrmonatigen Ausstellung in Berlin, mit dem provokanten aber auch ziemlich coolen Titel schwarz rot kohle, konnte ich ein Interview mit den Künstlern, mit kunstgruppe GOTTLIEB, führen.
Das Gespräch, das in der Ausstellung geführt wurde, entwickelte sich zu einer persönlichen Führung und bot einen äußerst intensiven Einblick in die Arbeit dieser außergewöhnlichen Künstler.
Für ihren neuesten Coup inszenierte kunstgruppe GOTTLIEB ein Gebäude zum Hauptakteur eines Kunstwerkes. Die Vergangenheit des Hauses, als ehemaliges Königliches Hauptzollamt, Finanzamt Neukölln-Nord und Asylbewerberheim berücksichtigend, reflektiert das Werk über Mensch, Macht, Zeit und Gegenwart.
Die verschiedenen künstlerischen Genres fließen in der Ausstellung ineinander wie die Farben eines abstrakten Gemäldes. Für diese Arbeitsweise, bei der auch immer wieder neue Genres entstehen, ist kunstgruppe GOTTLIEB seit langem schon bekannt.
Die Künstler nennen die aktuelle Inszenierung eine Gesamtrauminstallation. Und tatsächlich: alles was auf den den 4 geräumigen floors des Hauses zu sehen, zu erleben und zu hören ist, scheint kontinuierlich, wie ein beständiger Fluss, in Bezug zur gesamten Idee, dem Haus und den Besuchern zu stehen.
Das Gebäude, für das kunstgruppe GOTTLIEB für diese Ausstellung, in Anlehnung an die ursprüngliche Funktion des Hauses, den Namen Zollamt ins Leben gerufen hat, ziert ein großes Transparent mit einem von den Künstlern theatralisch inszenierten Abbild ihrer selbst.
Wie die Künstler aussehen ist also kein Geheimnis. Häufig sind sie auch, in Form von Performances, Bühnenshows und Konzerten, Teil ihrer eigenen Werke. Auch ihre Abbilder in Form von Fotos und Videos sind in vielen ihrer Arbeiten präsent. Auf ungewöhnliche Weise agieren sie im Kunstbetrieb wie eine Band.
Aber die persönlichen Namen tauchen nirgendwo auf und ehrlich gesagt, möchte man die inzwischen auch nicht mehr wissen. Viel zu gut ist die Idee dahinter, als dass man dazwischen grätschen möchte. Das Konzept von kunstgruppe GOTTLIEB, der namenlosen Künstler hinter dem Bandnamen, hinter dem Kunstwerk, ist cool und greift.
Frage: Zu eurer aktuellen Ausstellung: ihr arbeitet in Museen, Galerien, Theatern und Konzerthäuser, nehmt euch aber auch ganz spezielle und außergewöhnliche Orte vor. Ich denke hierbei an Werke, die von euch auf einem Containerbahnhof, in einem Atomschutzbunker, in Supermärkten und Kaufhäusern und im Atlantischen Ozean realisiert wurden. Das Publikum war dabei immer mit vor Ort.
Jetzt habt ihr wieder an einem Ort gearbeitet der kein vornehmlicher Kunsttempel ist: ein Gebäude in Neukölln-Nord, das vor 100 Jahren als Königliches Hauptzollamt errichtet wurde, ab 1946 als Finanzamt genutzt wurde, Anfang der 90er Jahre zwischenzeitlich als Asylbewerberheim diente und nun in den Händen einer privaten Managementgesellschaft, liegt. Wie kam es dazu?
KG: Das war beidseitig, Haus und Künstler sind sich begegnet und haben entschieden eine gewisse Zeit miteinander zu verbringen.
Nach der ersten eher zufälligen Begegnung waren wir sehr begeistert von der Architektur, der Atmosphäre und von dem was das Haus „atmet“.
Nach gründlicher Recherche entfaltete sich uns die bewegte Vergangenheit des Hauses. Es war klar, dass hier mit Behutsamkeit vorgegangen werden musste. Es entstand die Idee, das Haus und seine Zeitgeschichte selbst zum Hauptakteur des Kunstwerkes zu machen, das in ihm präsentiert wird.
Es atmet sozusagen tief in sich selbst hinein, um mit diesem Kunstwerk einen kräftigen Atemstoß nach außen zu vollziehen; und das genau 100 Jahre nach dem ersten Spatenstich.
Frage: Wie geht man dann weiter vor?
KG: Man verbringt viel Zeit in dem Haus. Und man putzt.
Frage: Man putzt???
KG: Ja, das ist ein höchst intensiver Akt. Du lernst einen Raum den du sehr gründlich putzt auch sehr detailliert kennen, jede Ecke, jede Kante, die verschiedenen Materialien, alles wird ungemein vertraut. Aufgrund gewisser Materialwiderspenstigkeiten kann es auch zu einer Art Kampf kommen, der aber in den meisten Fällen in einer Freundschaft endet.
Frage: Macht ihr das immer so?
KG: Ja, selbst an ehrwürdigen Orten wie Museen und berühmten Musik Konservatorien machen wir das. Es ist eine Art Weihung der Bühnen- und Ausstellungsflächen.
Frage: Ihr habt für bestimmte Arbeiten von euch den Begriff Gesamtrauminstallation geprägt. Was bedeutet das speziell für diese Ausstellung?
KG: Das Werk erstreckt sich über alle 4 öffentlich begehbaren Stockwerke des Hauses. Die Verschiedenen Ebenen beleuchten verschiedene Aspekte der Vergangenheit des Hauses und dessen Wirken in die Gegenwart. Alle Ebenen beziehen sich kontinuierlich aufeinander und sind als Ganzes zu sehen. Es gibt ständig intellektuelle und materialtechnische Bezüge. Würde man den dreidimensionalen Raum „aufklappen“, also in die Zweidimensionalität überführen, ergäbe sich eine einzige Landschaft, ein einziges Bild.
Verdeutlicht wird dies auch durch die zentrale Installation im Treppenauge des Hauses, die sich von der Eingangsebene bis in das obere Stockwerk empor streckt und alle Ebenen auch sichtbar miteinander verbindet.
1. Floor
Frage: Könnt ihr kurze Erläuterungen zu den einzelnen Ebenen geben? In der Eingangshalle sehe ich drei 2 ½ Meter hohe Tafelbilder aus einem stumpf kohleschwarzen, gummiartigen Material mit großen zentral positionierten historischen Portrait Fotografien und zahlreichen, unheimlich faszinierenden, minimalistischen Kohle Portrait Zeichnungen. Irgendwie erhaben und feierlich.
Das ganze erinnert mich an einen dreiteiligen Flügelaltar der zu schweben scheint. Es sieht so aus, als wenn das ganze schon immer hier gewesen wäre, also fest zum Raum gehört.
KG: Ja, hier wurde sehr für den Raum gearbeitet, die einzelnen Maße der Wände, des gesamten Raumes, die Leuchten und speziell die diffuse Lichtsituation, alles wurde in die ästhetische Umsetzung einbezogen. Selbst die Erscheinung des Handlaufes des Treppenhauses findet sich in der Aufhängungstechnik, die auch für den schwebenden Charakter sorgt, wieder.
Das Werk widmet sich hier im Eingangsbereich der vielen Menschen mit ihren zahllosen Einzelschicksalen, die diesen Bereich seit bestehen des Hauses durchschritten haben. Viele von ihnen haben zwei Weltkriege durchlitten. Paare, Geschwister und Familien wurden durch gewaltsamen Tod voneinander getrennt. Die Zeichnungen bilden daher immer, bei genauem Hinsehen wird es deutlich, ein Paar.
Die zentralen Fotografien, entstanden in der Zeit der Gebäudeentstehung, stehen für konkrete familiäre Bezüge, die abstrahierten Zeichnungen für nicht bekannte, nicht erinnerte Schicksale.
Man darf nicht vergessen, dass das Haus in seiner damaligen Funktion als Königliches Hauptzollamt nicht unwesentlich zur Finanzierung der Kriege beigetragen hat.
Frage: Gibt es für euch konkrete Beziehungen zu den Personen auf den Fotografien?
KG: Ja, es gibt sehr konkrete Beziehungen. Der Menschen wurde auf den Einladungskarten auch namentlich gedacht.
Frage: Dem gegenüber sehe ich eine Installation die sich in die Etagen erstreckt: aus einer weißen Kühlgefrierkombination, die sich aus einem Sandhaufen schält und in ihrem Inneren mit gestapelter Brikettkohle gefüllt ist, spinnen sich weiße Fäden in den gesamten Raum des Treppenauges.
KG: Dies ist auch inhaltlich ein zentraler Bezugspunkt der Ausstellung. Hierbei handelt es sich um eine der vielfachen Ausprägungen der weltweiten Installation Find The Net die von uns erstmals in London in der Great Hall des Alexandra Palace und in der University of London Union als offizieller Beitrag zum Europäischen Sozialforum ausgerufen wurde: ein weltweit präsentes Werk das mahnt über die eigene Rolle innerhalb der perfiden Strategien rein globalorientierter Politik zu reflektieren.
Frage: Davon habe ich natürlich gehört. Ich war echt geplättet als ich das erste Mal davon gelesen habe. Da habt ihr ja mächtig was in Gang gesetzt – ein weltweites Mahnmal das immer präsent ist und trotzdem nicht zu fassen ist.
Pate von Find the Net ist, wenn ich richtig informiert bin, Frank Castorf, Intendant der Volksbühne Berlin, und jeder kann weltweit mitmachen. Ist das richtig?
KG: Ja, es gibt viele sogenannte Teilstücke aus vielen Ländern Europas, aus Nord- und Südamerika wie USA, Mexico, Argentinien und Asien, wie China, Indien u.a.. Hierzu gibt es viele Foto-, Film- und Mediendokumentationen. Wie der Einzelne teilnehmen kann, es gibt hierzu feste Regeln, ist auf unserer Webseite zu lesen.
Frage: Ästhetisch fügt sich die Installation sehr gut in die Architektur. Es sieht sehr leicht, heiter aber auch irgendwie sakral aus.
KG: Heiter – weil bestimmte Kräfte häufig sehr verführerisch und unschuldig daher kommen bevor sie ihre zerstörerische Wirkung entfalteten.
Sakral – weil der Glaube an diese Kräfte schon wahrhaft religiöse Züge angenommen hat, was auch in deren Sinne ist. Es werden enorme Anstrengungen unternommen um Religion zu banalisieren und sich an dessen Stelle zu setzen. Darauf weist auch die Anzahl der Fäden hin.
Frage: Ich habe gelesen dass ihr häufig mit Zahlensymbolik arbeitet. Inwieweit trifft das hier zu?
KG: Es spielt hier auf das Religiöse an. Es sind genau 64, also 8 mal 8 Fäden die in das Haus ragen. Die 8 ist in der Christlichen Religion das Symbol des so genannten neuen Bundes zwischen Gott und den Menschen; einem Neuanfang. Nachdem 8 Menschen in der Arche überlebten wurde dieser Bund geschlossen.
Noch heute ist in unserer Tradition die Taufe ein Symbol dieses Bundes, daher haben auch Taufbecken ihre achteckige Form. Der Grundriss der Reichskrone rührt übrigens ebenfalls daher. Die besagten Kräfte streben einen neuen Bund mit ihnen als neuen Gott an. Es gibt weltweit allerdings nicht wenige Mensche die meinen es handelt sich dabei um einen Bund mit dem Teufel.
In manchen Sprachen ist die architektonische Bezeichnung für das Treppenauge, in dem sich die Fäden hier empor strecken, übrigens nicht Auge sondern Seele.
Frage: Gott behüte!
KG: Dem gegenüber stehen die 72 Zeichnungen der Menschen, Quersumme 9, Quadrat aus 3, der perfekten Zahl, dem Ursprung. Niemand ist, auch wenn das Gegenteil immer wieder behauptet wird, mit Profitgier geboren worden. Es ist kein natürlicher Zustand.
Plus 12, den Einzelteilen der Fotografien, ergibt 84, entspricht der Anzahl der Briketts in der Kühlgefrierkombination. Alles Weitere würde jetzt aber den Rahmen sprengen.
2. Floor
Frage: Auf der 2. Ebene gibt es eine Video- und Soundinstallation. Die scheint mir, im Gegensatz zur 1. Ebene ein wenig heiterer.
KG: Heiter und tragisch.
Frage: Ich sehe 6 historische Fernsehgeräte und Videos mit zahlreiche Getränke Weißblechdosen die einen sonderbaren Tanz vollziehen. Die Originalbeschriftung der Dosen, da muss Bier drin gewesen sein, lautet: Adelskrone. Auch die Originalfarben der Dosen stimmen: schwarz, rot, gold. Wer tanzt hier mit wem?
KG: Die Beschriftung stellt schon alles klar. Der Adel, das Großbürgertum, die Hochfinanz vollführen einen gemeinsamen Tanz, drehen sich permanent um sich selbst, flirten miteinander, bilden Koalitionen, grenzen aus, rotten sich zusammen.
Die Choreografien entstanden unter Einbeziehung der Aleatorik, also mithilfe des Zufalls. Auf einem weißen Waschautomaten, in dem schmutzige Wäsche gewaschen wird, vollzieht der Adel durch die mannigfaltigen Erschütterungen der Schleudergänge seinen Tanz. Obwohl allein durch den Zufall gelenkt, driften die Objekte immer wieder mal nach link und nach rechts.
Frage: Und der Sound?
KG: Es gibt 3 verschiedene Filme mit minimal unterschiedlicher Laufzeit. Hierdurch ergeben sich gewollte Phasenverschiebungen, die sowohl akustisch als auch optisch für ein immer neues Gesamtbild sorgen. Man könnte und darf auch, stundenlang davor sitzen und würde immer wieder etwas Neues hören und sehen.
Frage: Aleatorik, Phasenverschiebungen. Ihr arbeitet also auch bei Installationen bewusst mit Kompositionstechniken aus der Klassischen Musik?
KG: Klar. Das läuft aber auch in die andere Richtung und in kontinuierlichen Querverbindungen. Techniken der Bildenden Kunst gehen in die Kompositionen ein, Techniken des Theaters in die Installationen, Installationsästhetik in die Filme, Filmästhetik in die Bühnenarbeit usw. usw.
Frage: Gibt es etwas zur rein technischen Umsetzung bei dieser Video-Sound-Installation zu sagen?
KG: Um den Faktor Zeit auf einer zusätzlichen Ebene wieder ins Spiel zu bringen, haben wir historische Fernseh- und Kameratechnik verwendet. Das war nicht leicht umzusetzen aber möglich.
Frage: Ich sehe hier auch 2 schwere Ledersessel die mir auch im Eingangsbereich schon aufgefallen sind. Was hat es damit auf sich?
KG: Das ist ein Element aus der von uns entwickelten und seit langem angewandten Kunstform Raum-Ich. In diesem Fall entschieden wir uns für die Sessel. Sie tauchen hier auf jeder Ebene auf und haben pro Ebene eine andere Bedeutung. Hier stehen sie, links und rechts neben dem größten Fernseher thronend, für die Aufforderung nicht Mitläufer zu sein, sondern eine Entscheidung zu treffen.
Die Sessel dürfen benutzt werden. Die Besucher werden Teil der Inszenierung. Wie in einem Theaterstück erfüllt sich die Szenerie mit Leben.
Frage: Wenn ich nun in die nächste Ebene hoch gehe, habe ich von einem bestimmten Punkt aus die besagten Sessel von drei Stockwerken in einem Blickfeld. Man scheint irgendwie, stellvertretend durch die Sitzmöbel, überall gleichzeitig zu sein. Es ist wahrscheinlich überflüssig zu Fragen ob das gewollt ist.
KG: Natürlich, du hast recht, es ist gewollt. Es ist eben eine Gesamtrauminstallation. In einem mehrstöckigen Gebäude ist das eine echte Herausforderung.
3. Floor
Frage: Die nächste Ebene beschäftigt sich mit der Funktion des Hauses als vorübergehendes Asylbewerberheim. Es eröffnet sich eine sehr seltsame Szenerie. Das Ganze wirkt schlicht, sakral und gleichzeitig auch schmerzhaft. Beschreibt doch bitte kurz selber.
KG: Wir sehen ein klappbares Gästebett mit Bettdecke und Kissen, bezogen mit sehr altem, sorgfältig gewebtem Leinentuch. Bettzeug und Laken sind schneeweiß. Kaum sichtbar ist an einer Stelle ein sehr feiner roter und gelber Faden eingewoben. Das Ganze ist so angeordnet, als ob gerade jemand dem Bett entstiegen wäre.
Durch einen sehr einfachen aber wirkungsvollen ästhetischen Trick, sieht es so aus als ob Derjenige der gerade als Gast dem Gästebett entstiegen ist, sehr blutige, sehr schmerzhafte Träume hatte; eine sehr blutige, verwundete Vergangenheit hat. Man kann das vielfältig ausdrücken, jedenfalls ist er nicht auf Rosen gebettet.
Dahinter die Kreuzigungssituation, das klassische Opferbild der Abendländischen Kultur. Hier mit Kinderpuppen, die in das Find The Net Material verwoben sind. Die Fäden weisen auf den kommerziellen Hintergrund der Kriege. Kinderpuppen deshalb, weil Mitleid nur noch über das Leid von Kindern eingefordert und empfunden wird. Inzwischen ist es so, dass fast jedes inszenierte journalistische Kriegsbild, das bei uns ganz starke Gefühle erzeugen soll, das Leid von Kindern darstellt.
Neben dem Gästebett befindet sich, geschichtet, gerissenes Leinentuch, Bandagen.
Obwohl sich der Heizkörper auf jeder Etage genau an dieser Stelle befindet, wird er von den Besuchern erst in dieser Installation, schäbig kühl hinter dem Gästebett stehend, bewusst wahrgenommen.
Frage: Harter Tobak. Und hier sind auch wieder die Sessel.
KG: In dieser Szenerie wirken sie fast unanständig, weil das, bei diesem Leid, in dieser bequemen Position, so extrem voyeuristisch aussieht. Diesmal sind es 3, für: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Auch hier werden sie ganz normal benutzt. Auch hier entsteht eine Theater-ähnliche Situation.
Frage: Ich sehe auch wieder die archaischen Materialien Sand und Kohle aus dem 1. Floor. Diesmal als rechteckiges Feld angeordnet. Für was stehen die Materialien.
KG: Sand ist zum einen ein Baustoff mit dem wir Dinge errichten, auf Sand gebaut, sind jegliche Errichtungen allerdings schnell hinfällig. Zum anderen ist Sand ein starkes Symbol für Zeit und Vergänglichkeit. In der Ausstellung geht es um das Haus, um etwas Errichtetes, und um dessen Geschichte, also die Zeit, und um jede Menge Kohle. Die war wiederum ein erheblicher Wirtschaftsfaktor zur Zeit der Hauserbauung und wurde auch schwarzes Gold genannt. Kohle ist hier also nicht nur in seiner Bedeutung als Kosename für Geld gemeint.
Frage: Die Anordnung der Materialien sehen aus wie eine geheime Botschaft, ein Code. Man könnte darin eine Art Gencode sehen, dem sogenannten Baustein des Lebens.
KG: Es ist aber auch als Rätsel gemeint, ein Bruch im Verstehen, etwas Rätselhaftes das gelöst werden will und dessen Lösung sich bei der Bemühung darum auf einer anderen Ebene entfaltet.
Wenn man darin einen Gencode, die Klaviatur des Lebens sieht, stellt sich die Frage, wer sich anmaßen will darauf zu spielen, darüber zu entscheiden wer weiterleben und wer nicht weiterleben darf. Manche Besucher haben hier eine reihenhafte Aufbahrung von Särgen, wie nach einem Krieg, gesehen.
Übrigens wird hier, wieder als Hinweis auf das Zusammenspiel von Kunstwerk und Architektur und um einen ganz besonderen Augenblick zu schaffen, der natürliche Lichteinfall der Sonne durch das rechteckige Fenster als theatralische Beleuchtung eingesetzt. Zu einer ganz bestimmten Tageszeit wird das rechteckige Sandfeld für kurze Zeit durch eben diesen Lichteinfall komplett ausgeleuchtet. In diesem Moment kann ein Gefühl der Demut entstehen.
Frage: Oh ja, dieses Gefühl hatte ich schon öfters bei euren Arbeiten. Ich denke da zum Beispiel an diese 4 ½ stündige Konzertperformance in dieser riesigen Kirche: K.N.
4. Floor
Frage: Auf dem Gang zum 4. Floor fällt einem wieder die Triptychon Situation auf, die immer wieder auf die Architektur des Hauses zu deuten scheint.
Man sieht 3 Kleidungsstücke, scheinbar schwebend, weiblich, männlich, tiefschwarz, in der Mitte ein altmodisches Kinderkostüm.
Es sieht aus wie eine moderne Abstraktion der heiligen Familie; theatralisch, dramatisch, kontemplativ. Gefühlsmäßig scheint mir hier ein Bogen zurück zum 1. Floor geschlagen zu sein.
KG: Richtig, die Kleidungsstücke haben einen direkten und sehr tiefen Bezug zu den Personen die im 1. Floor auf den alten Fotografien zu sehen sind. Aber es wird auch ein Bogen zum 3. Floor geschlagen. Wenn man das Land verlassen muss, wie damals im Krieg, nimmt man nur das Nötigste mit. Man trägt seine beste Kleidung am eigenen Leib. Die Kleidungsstücke hier sind sehr alt, und das Tuch ist, obwohl schlicht, sehr sorgfältig gewebt. Als wenige Erinnerungsträger nimmt man noch ein paar Fotografien mit.
Frage: Ich verstehe, daher sind hier die ganzen Fotografien. Wir stehen hier mitten in einer Fotoausstellung, die ich in dieser Art der Fotografie Präsentation noch nie gesehen habe. Es breitet sich ein großflächiges, 5 Meter breites, Gesamtgemälde vor einem aus. Sehr ausgefallen.
Beim zweiten Blick erkenne ich wieder ein Sandfeld, das kohleschwarze Gummimaterial und zahlreiche, teilweise in unterschiedlich repetierter Form angeordnete, Fotografien und Fotogruppen.
Geht es hier hauptsächlich um das Gesamtgemälde, die einzelnen Formen aus Fotorepetitionen oder um das jeweilige Einzelbild?
KG: Es geht um das Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen. Der Blick wandert vom Ganzen in die Gruppen, dann in das Einzelbild und wieder zurück. Nach einer Weile spaziert die Aufmerksamkeit abenteuerlustig durch die verschiedenen Wahrnehmungsebenen.
Hinzu kommend ergeben sich auch durch die Veränderung der Betrachtungsposition im Raum immer wieder neue Zusammenhänge.
Frage: Es scheint mir teilweise als würden sich dreidimensionale Gebäude aus einer Landschaft schälen. Aus einer bestimmten Raumposition sieht es so aus als wäre man im Landeanflug auf eine prähistorische Stadt. Hat das damit zu tun dass sich in dieser Etage die Räume eines großen Architekturbüros befinden?
KG: Ja. Zum einen geht es in der Installationsform um die vergangene Verwaltungsfunktion, angedeutet durch die Aktenregalflächen und Aktenaufbewahrungskartons, als auch, wie von dir angesprochen, um die Gegenwart des Hauses.
Frage: Die Bilder sind nicht befestigt?
KG: Nein, die Bilder können sich verschieben, durch einen stärkeren Windzug oder unvorsichtigen Besucherkontakt, das ist gewollt. Ein Haus das leer steht, zerfällt. Die Installation muss genau wie ein Haus regelmäßig gepflegt und in Stand gehalten, sozusagen bewohnt werden.
Frage: Was ist auf den einzelnen Bildern zu sehen und wie sind sie entstanden?
KG: Zu sehen ist natürlich das Haus. Und zwar, in einer ganz eigenen Art der Sichterfassung, wie wir sie schon seit Anfang der 2000er bei Räumen und Gebäuden anwenden. Eine Spezialität sozusagen. Die ganz spezielle Sichtweise des Künstlers, also von uns, auf Details, Materialien und Raumausschnitte des Hauses werden in den Fotos dokumentiert. Daher die Verwendung analoger Technik für dieses Verfahren; kein Bild wird im Ausschnitt oder in der Farbgebung nachbearbeitet oder verfremdet. Das Bild zeigt unwiderruflich was in diesem Augenblick gesehen wurde. Es kann auch nicht mehr gelöscht werden. Jedem Bild geht eine klare Entscheidung voraus.
Es entstanden auf diese Weise ca. 450 verschiedene Analog–Fotografien. Dann wurden jeweils, für jedes Jahrzehnt des Hauses, 10 Abzüge erstellt. Wir sehen hier also nur eine kleine Auswahl des entstandenen Materials.
Frage: Jetzt wo ihr es sagt, erkenne ich auch einzelne Dinge aus dem Haus. Zunächst sehen die Bilder wie Malereien, Skulpturen oder befremdliche Installationen aus. Wenn ich genau hingucke sind es aber höchst konkrete wiedererkennbare Dinge. Wenn ich mich jetzt hier im Haus umschaue, ist das ein echter Flash. Ich kann dann zum Teil auch diese Malerei oder das skulpturhafte in den Details sehen.
KG: Bewusst haben wir, bis auf einen weißen Raum, nur öffentlich zugängliche Räume „ersichtet“, damit das Publikum die Möglichkeit für die eigene Entdeckungsreise und eben diesen, wie du es nennst, Flash-artigen Zustand hat.
Frage: Wäre es frevelhaft wenn ich sage, dass ich mir auch nur ein einzelnes Bild, in Vergrößerung, an einer großen weißen Wand in meiner Wohnung bzw. in einer Galerie vorstellen kann oder gilt ein Bild nur im Gesamtzusammenhang? Ich meine: Sind die Bilder auch einzeln käuflich?
KG: Ja natürlich, aber nur in einem von uns bestimmten Großformat. Das hat eine irre Wirkung. Der Gesamtzusammenhang, der im Kopf als Konzept bleibt, macht das einzelne Bild zusätzlich noch kraftvoller.
Die Reale Ebene
Frage: Nun auf dem obersten Floor, der obersten Ebene der Ausstellung angekommen, muss ich noch fragen: Was hat es mit der viel beschworenen, sogenannten Realen Ebene auf sich, die in einigen Eurer Arbeiten auf fast gespenstische Weise zu Tage tritt?
KG: Die reale Ebene entfaltet sich in Form von Interaktionen, Reaktionen und gewollten und ungewollten Ereignissen vor, während oder nach einem Kunstwerk und gilt dann als dessen fester Bestandteil des Werkes. In vielen Fällen durchleben die Menschen, die mit dem entsprechenden Werk in Kontakt kommen, noch mal ganz direkt dessen Inhalt.
Man muss hier unterscheiden zwischen geplanten und nicht geplanten Umständen. Bei Werken wie Exil Cafe, Geschlossene Gesellschaft oder Ansichten zum Beispiel, wurden bewusst viele Parameter eingebaut, die die menschliche Interaktion mit einbezogen.
Bei schwarz rot kohle war es einer der ungewollten Fälle.
Frage: Ich habe gelesen, dass es auf einen Teil der Ausstellung, auf der 3. Ebene, gezielte Angriffe gab.
KG: Das ist richtig. Es wurden wiederholt verunglimpfende Schilder aufgebaut und wiederholt Verschmutzungen und Zerstörungen an der Installation vorgenommen. Insgesamt gab es 10 Angriffe. Die Täter bezeichneten sich in 2 Fällen anonym als eine „Bürogemeinschaft“ aus dem Haus.
In Gesprächen mit einzelnen Mietern zeichnete sich ab, dass es konkrete Verdachtsmomente über die Täterschaft gab. Die Reaktionen waren nun folgende: es gab jene die sich nicht äußern wollten, weil sie ähnliche Attacken auf sich befürchteten, jene die ideologisch den Tätern nahe standen aber „nicht so weit“ wie diese gehen würden und jene, die das ganz furchtbar fanden aber nichts damit zu tun haben wollten. Die Parallelen zur Deutschen Geschichte waren unglaublich.
Frage: Wurden die Täter gefasst?
KG: Wir wollen da nicht vorgreifen, aber so oder so, wird es der Geschichte entsprechen. Nach dem 2. Weltkrieg lebten viele der Täter unbehelligt weiter unter uns und bekleideten sogar öffentliche Ämter.
Frage: Gibt es andere Beispiele für diese ungewollte Reale Ebene?
KG: Es gibt neuere Formen des politischen Protestes die in einigen Songs von uns detailliert beschrieben wurden und einige Jahre später en Detail umgesetzt wurden und sogar für große mediale Aufmerksamkeit gesorgt haben. So etwas ist zum Beispiel äußerst erfreulich.
Regelrecht legendär ist auch die Eröffnung zu unserer Ausstellung zur Europäischen Kulturhauptstadt im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte in Dortmund: Hier haben wir unter anderem ein sehr umfangreiches Werk präsentiert, das wir aus Berlin mitbrachten und bei dem die Botschafter der Republiken von Ecuador, Kuba, Uruguay, El Salvador und Nicaragua persönlich mitgewirkt haben.
Wir wollten auch darauf hinweisen, wie sensibel neue positive Entwicklungen in Südamerika sind und Angriffe zerstörerischer Kräfte darauf fortwährend weiter bestehen werden.
Zur Eröffnung wollte Seine Exzellenz Horacio Sevilla Borja, Botschafter von Ecuador, anreisen und sprechen.
In der Nacht vor der Ausstellung gab es einen Putschversuch in Ecuador. Der Präsident sollte entführt werden. Da konnte der Botschafter natürlich nicht die Botschaft in Berlin verlassen.
Wir ließen eine Telefonschaltung errichtet, sodass der Botschafter per Konferenzschaltung anwesend sein konnte. Die ganze Situation, mit den dramatischen Ereignissen im Hintergrund, mit den anwesenden Politikern, die Rede über das Telefon, es war unheimlich ergreifend.
Es konnte unmöglich besser dargestellt werden, was in dem Kunstwerk gemeint war bzw. das Werk das 2 Jahre Planung hinter sich hatte war nun Punkt genau dort wo es hingehörte.
Viele der Besucher, die an diesem Tag noch keine Nachrichten gesehen hatten, glaubten das Ganze wäre eine geniale Inszenierung.
hard performance music
Frage: Ihr hattet ja auch schon kurz die Musik angesprochen. Auch die gehört zu der Ausstellung und eröffnet noch eine weitere Ebene. Ihr jongliert mit den Genres als wären es ganz einfache Gummibälle.
KG: Kettensägen wäre vielleicht passender. Man muss sehr gut ausgebildet sein, viel Erfahrung haben und sehr fleißig trainieren, damit es ganz leicht aussieht.
Frage: Ihr habt für eure Musik den Begriff hard performance music geprägt. Wie kam es dazu?
KG: Immer wieder wurden wir von Journalisten gefragt was das denn wäre was wir da machen, es gäbe keine Vergleichsmöglichkeit, es müsse doch ein Begriff dafür her. So entwickelten wir den Begriff hard performance music, dessen Inhalt sich aus den Bedeutungen der einzelnen Worte erschließt. Er macht die Sache nicht viel klarer gibt aber einen Hinweis wo lang die Reise geht.
Frage: Ich muss zugeben, dass ich beim ersten Mal als ich Euch gehört habe ziemlich fertig war. Das hat mich emotional ganz schön mitgenommen. Nach dem zweiten und dritten Mal stellt sich dann allerdings so ein wohliges Suchtgefühl ein. Wollt ihr den Leuten beim ersten Mal bewusst vor den Kopf stoßen?
KG: Auf keinen Fall. Es ist nur inhaltlich und musikalisch sehr intensiv und alles was intensiv ist hat eine kleine Hürde. Da muss man ganz einfach durch und schon gehört man dazu.
Frage: Ihr spielt in Konzerthäusern, in Theatern und Museen aber auch auf Rockfestivals und in Metal Clubs. Wie geht das? Macht ihr da überall denselben Stil?
KG: Ja, es funktioniert überall an diesen verschiedenen Orten und wir sind echt super begeistert, dass so viele unterschiedliche Leute es lieben.
Frage: Ich denke wir sollten zu dem Thema Musik noch mal ein extra Interview durchführen, das wäre echt cool. Eine kleine Kostprobe kann sich jeder ja schon mal auf youtube abholen.
Letzte Frage: Kann man in der Kunst noch etwas Neues machen?
KG: Natürlich, jeder der das Gegenteil behauptet, tut das nur aus Rechfertigung, um sich an den Ideen anderer zu bedienen. Man kann jeden Tag etwas Neues machen, in den Naturwissenschaften, in den Geisteswissenschaften, in der Kunst….
Man sollte sich nie auf eine Diskussion einlassen mit jemandem, der das anders sieht, denn bereits da werden die Saugnäpfe schon ausgefahren.
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch.